27.6.07

Hospizarbeit

Erlensee
Heute habe ich meinen ersten Besuch im Altenheim gemacht.

Eigentlich war ich schon zum zweiten Mal da. Aber damals schlief die Frau, bei der ich mich vorstellen wollte, und zwei Nächte später war sie gestorben.

Ich traf wieder eine alte Frau an, die am Tisch vor ihrem Fenster saß. Sie schaute hinaus in eine weite Landschaft mit roten Dächern im Vordergrund, dahinter Grün, in der Ferne von einer flachen Erhebung begrenzt. Der Himmel war wild bewölkt, und immer mal wieder brach das Sonnenlicht hindurch.

Ich wurde von der Mitarbeiterin vorgestellt, und die alte Frau und ich hielten uns lange an den Händen. Ihre waren klein, warm und trocken, genau wie meine.

Ich setzte mich zu ihr an den Tisch, und sie schien nicht richtig zu wissen, was sie nun mit mir anfangen sollte und warum ich da war. Irgendwann bot sie mir von dem Obst in der Schale an, an deren Rand ihr Hörgerät steckte. Ich nahm dankend eine Birne und legte sie vor mich auf den Tisch. Ein paar Mal meinte sie, es könnte doch eigentlich jemand mit Kaffee kommen.

In der Zwischenzeit sprach sie langsam mit zahnlosem Mund und erzählte mir von den Kümmernissen des Altseins, sie ist 92 Jahre alt. Schlecht behandelt fühlt sie sich als Alte, und ihr Kopf ist so vergesslich geworden. Mehrmals wiederholte sie seufzend, dass alles vergeht und nichts bleibt. Dreimal fragte sie mich, woher ich komme, konnte aber mit dem Namen der Gemeinde, den ich nannte, nichts anfangen, obwohl die nicht weit weg ist. Ich schrieb ihr den Namen auf den Rand der Zeitung, die vor ihr lag, und meinen eigenen dazu. Das wollte sie ihrem Sohn zeigen, der sie manchmal besuchen kommt, ob der das vielleicht kennt. Ich weiß nicht, wie viel sie von dem mitbekam, was ich ihr erzählte. Zwei, drei Mal wiederholte sie einige Wörter. Aber das war gar nicht wichtig.

Nach einer guten Stunde verabschiedete ich mich und fragte, ob ich am Freitag wiederkommen dürfe. Sie bejahte freudig, meinte aber, ich solle nicht böse sein, wenn sie am Freitag nicht mehr wüsste, wer ich bin. Am Schluss sorgte sie dafür, dass ich die Birne einsteckte.

Seit mindestens dreißig Jahren wusste ich schon, dass ich mal Sterbende begleiten wollte. Der Grund war vermutlich die Angst, die ich als junge Frau selber vorm Sterben hatte. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen, tot und nicht mehr da zu sein. Im Januar habe ich spontan im hiesigen Hospizbüro angerufen, und - wie es sich fügte - begann einige Tage später der diesjährige Ausbildungzyklus. Und nun habe ich mit dem Praktikum angefangen.

Was ich nach all den Vorstellungen, die ich mir während der Ausbildung über die Hospizarbeit gemacht habe, heute gelernt habe ist, dass Sterbebegleitung in erster Linie die Begegnung zwischen zwei Menschen ist, von denen der eine dabei ist, sich vom Leben zu verabschieden.

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke für diese Schilderung. Ich spiele auch schon lange mit dem Gedanken, ähnliches zu machen. Bisher war immer das Geld-verdienen-müssen im Weg, das nicht genug Kraft oder Zeit für eine solche Aufgabe lies.

Liebe Grüße
Perino

Anonym hat gesagt…

Danke!
Dagmar

Anonym hat gesagt…

Das ist sehr berührend, die Schilderungen warm und herzlich. So stelle ich mich Dich in der Arbeit als Sterbe-Begleiterin vor:-) Und das ist das Wichtigste, die Wärme und Herzlichkeit, so denke ich, gerade für ältere Menschen. Und das Verständnis und offene Ohr für sie und ihre Anliegen und Wünsche.

herzliche Grüsse und schöne Erlebnisse von uma

MyM hat gesagt…

mich fasziniert das thema sterben auch sehr.. und ich werde das vielleicht auch mal machen.. habe auch so ein gefühl, aber momentan fühle ich mich noch zu jung dafür..glaube aber dein gefühl nachvollziehen zu können. bist du zufällig skorpion vom sternzeichen her? m

Sati hat gesagt…

Räusper.... ich habe mal eine etwas andere Sicht als die gängige auf das Thema, die ja davon ausgeht, daß das "echte Gutmenschen" sind, die so eine "Sterbebegleitung" machen. Das Wort an sich ist auch schon völlig daneben, denn der Sterbende geht natürlich immer allein rüber und niemand kann ihn je begleiten. "Lebensverabschiedung" vielleicht... ne, klingt auch nicht besser.

Der letzte Absatz trifft eigentlich alles auf den Kopf, gefällt mir deshalb auch - es geht immer um Augenblicke im Leben, mehr Begegnung gibt es nicht.
Und grundsätzlich finde ich es auch eine gute Sache, sich im Leben manchmal Gesellschaft zu leisten und an der Hand zu halten.

Und nun zum kritischen Teil: Erst einmal wundert mich, daß so viele Menschen am Sterben interessiert sind - obwohl sie nicht einmal das eigene Leben ergründet haben.
Dann finde ich es ziemlich verrückt, daß irgendwelche Lebenden glauben, sie könnten anderen Lebenden in Kursen vermitteln, wie man einen sterbenden Menschen begleitet. Ich meine, jedes Leben und jeder Tod sind so einizgartig, daß die Menschen immer nur aus dem Moment heraus miteinander in Begegnung sein können, und das kann man nicht vermitteln und/oder lernen, sondern das geschieht. ie du ja im letzten Absatz geschrieben hast.

Ich empfinde das manchmal so, als wollen die Begleitenden dem Sterbenden ein Stück des letzten Geheimnisses entlocken. Für mich ist das also nicht "altruistisch" und ich behaupte, der Begleitende empfängt mindestens soviel, wie der Sterbende.

Das wollte ich mal sagen heute morgen. Und dennoch finde ich es gut, daß du das machst - schlicht als Erfahrung.

Einen schönen Tag wünscht Anuja

Ursel hat gesagt…

Vielleicht ist es ja auch mehr ein "nicht völlig alleinlassen", als ein Begleiten.
Auf alle Fälle werden die alten Menschen ja wirklich abgestellt und Sterben IST ein Tabuthema..
Von daher, Anuja, ist es ja nicht schlimm, wenn es nicht völlig altruistisch ist, etwas seiner Zeit jemand anders zu schenken, oder ? Hauptsache, man tut's, wenn man mag.
Auf dass dann später, wenn wir alt und vielleicht allein sind, auch Menschen ein bisschen für uns dasein mögen...

LG Ursel

Sati hat gesagt…

Ich sagten keinesfalls, daß es schlimm sei - im Gegenteil! Es war mir wichtig, nochmal zu sagen, daß die alten bzw. sterbenden Menschen durchaus etwas zu geben haben. Damit kommen sie aus dieser Darstellung des "einseitig Bedürftigen" heraus. Natürlich freuen wir uns alle, wenn wir uns nicht alleingelassen fühlen. In jeder Lebensphase. Bom día, Anuja

Frau Blau kocht vegan hat gesagt…

Ja, was soll ich noch sagen.

Ich glaube, meine vorrangige Motivation war der Wunsch etwas über das Sterben und Abschied nehmen zu lernen (gut getippt my am - Aszendent und Mond in scorpio).

Als "Gutmensch" oder altruistisch sehe ich mich nicht, bin eher achtsam, nicht in diese Hochmutsfalle zu tappen.

Tatsächlich erfuhren wir in der Ausbildung genau dass, was Du schriebst, Anuja. Jedes Sterben ist genauso einzigartig wie jedes Leben und jeder Mensch.

Es geht darum, einfach nur DA zu sein, wenn es gewünscht wird. Und die Begleitung versteht sich als völlig im Hintergrund.

Ursel hat gesagt…

Stimm' Dir schon zu, Anuja :)